Das Ende des Weges

Dienstag, der 24. März 2020:

Strecke: 19,4 km

Zeit: 8:10 h

Aufstieg: 1288 m Abstieg : 1346 m

Sonnig.

Früh aufgestanden zu Tsampa Brei und beim Losgehen den schwer schleppenden Träger wieder getroffen. Nach nur einer Stunde erreichte ich den Surki La auf dem noch etwas Schnee lag. Hinunter nach Panggom musste ich aufgrund des Frosts und Eises sehr vorsichtig gehen. Über dem Ort lag ein kleines buddhistisches Kloster. Heute konnte ich endlich die Berge wieder sehen und das gab meiner Motivation einen kleinen Schub.

Von einem Bergführer hörte ich von einem Lockdown der gesamten Khumbu Region und Schließung aller Lodges. Das machte mir etwas Sorgen, weil ich nur zwei Tage davon entfernt war.

Kloster bei Panggom
Panggom

Kurz hinter Bupsa kam ich auf eine Jeeppiste, die sich im Bau befand. Die Straße soll in den nächsten 2-3 Jahren bis Namche Bazar ausgebaut werden. Damit werden noch mehr Touristen hierher strömen und sich die Landschaft und die Bevölkerung verändern. Bin aber auch selbst ein Teil des Problems.

Am Straßenende fing nun ein schmaler Pfad an. Es gab viele Eselführer, die ihre Esel diesen Pfad beladen mit Gasflaschen, Kanistern und Vorräten hinauf- oder hinunterscheuchten. An diesen konnte man nur schwer vorbeikommen und wenn sie einem entgegen kamen, versuchte ich mich auf der bergzugewandten Seite des Weges zu positionieren und sie vorbeiziehen zu lassen. Ich war jedoch ziemlich ungeduldig.

Zu Mittag machte ich Rast an einer Lodge, aß Bratkartoffeln und wusch meine Haare und Socken. Ich genoss die Sonne nach den schlechten Tagen zuvor sehr.

Der weitere Weg bis Payan war schrecklich. Da es gestern so stark geregnet hatte, war der Pfad eine reinste Schlammschlacht. Matsch und Eselkot bildeten das Fundament mit einigen Steinen, welche aus dieser Brühe herausragten. Auf diesen versuchte man dann aufzutreten und zum nächsten zu springen. Ich empfand es irgendwie auch als passend für diese normalerweise überlaufene Region.

In Payan sah ich einen anderen Ausländer und fragte ihn, ob er Näheres bezüglich des Lockdowns gehört hatte. Er und sein Guide Kevin hatten auch nur Gerüchte gehört. Er war Australier, gerade in Pension gegangen und hatte alles verkauft. Haus, Auto und Frau, wie er sagte. Sein Name war Mitch und er hatte als Chiropraktiker gearbeitet.

Ich schloss mich den beiden an. Ich hatte ein gutes Gefühl bei ihm und genoss die Gesellschaft. Er erzählte mir, dass es seine erste Reise dieser Art war und er als Selbstständiger nur selten lange Reisen unternehmen konnte. Vor einigen Jahren war sein Sohn gestorben und er hatte eine schwierige Zeit durchgemacht. Wurde ein Bahai und befasste sich mit Meditation. Ich hatte den Eindruck, als hätte diese schlimme Erfahrung die Grundfesten seiner Weltanschauung zerstört. Er hatte sich daraufhin von allem Besitz getrennt, auch von seiner Frau.

Vor acht Jahren hatte er in einem Traum eine Vision, in welcher er ein Kloster in den Bergen sah. Mit ein paar Auffälligkeiten stieß er bei einer Google-Suche auf Lawudo Gompa, einem Kloster etwas oberhalb von Namche. Nun war die Zeit gekommen, seiner Vision zu folgen.

Er wollte dort einige Zeit verbringen, Meditieren und ich denke wohl, seinen Frieden finden. Er erzählte mir, dass es ihm früher schwer gefallen war, junge Männer wie mir zu begegnen. Zu viel erinnerte ihn an seinen Sohn. Ich fragte nicht genauer nach, sondern ließ ihn nur das erzählen, was er bereit war einem Fremden zu eröffnen.

Ich genoss seine Gesellschaft sehr und teilte mit ihm meine letzte Rittersport. Er beklagte sich über Blähungen und ich klärte ihn über High Altitude Flatulence Expulsion, kurz HAFE, auf. Er war darüber sehr amüsiert und ließ kurz danach erstmal einen Stehen, als er vor mir lief, und meinte dazu nur trocken mit einem Grinsen im Gesicht, dass er dafür nichts könne. Auch grübelte er eine Zeit lang darüber nach, wie er mich nennen solle, weil er mit mir nicht Schritt halten konnte, trotz fast leerem Rucksack. Letztlich legte er sich auf „The mule“ fest. Schwer beladen und mit beständigem Schritt passte es gut für sein Bild von mir.

Kurz vor Sonnenuntergang hatten wir die Lodge mit Blick auf Lukla erreicht. Es gab Tee und dann versammelten wir uns um den Ofen in der Mitte des Raumes. Es stießen noch eine Italienerin und ihr nepalesischer Freund hinzu. Thema war natürlich der Lockdown, der sich bestätigte.

Ich schaute auf den Seiten des Auswärtigen Amtes und der deutschen Botschaft in Kathmandu nach und fand auch eine WhatsApp Gruppe für Deutsche in Nepal, der ich beitrat. Ich entschloss mich, dass ich das Rückholprogramm der Regierung wahrnehmen würde. Ich wusste nur nicht, ob es besser wäre nach Lukla zu gehen, wo es einen kleinen Flughafen gab oder zurück nach Bupsa, wo die Straße beginnt. Weiterhin gab es ein Gerücht über einen Helikopter der Armee, der Touristen aus Lukla morgen ausfliegen würde. Ich kam zu keiner Entscheidung und grübelte im Bett noch lange nach.

Mittwoch, der 25. März 2020:

Strecke: 10,7 km

Zeit: 3:00 h

Aufstieg: 333 m Abstieg: 705 m

Sonnig, nachmittags bewölkt und leichter Regen am Abend.

Selbst beim Frühstück um 6 Uhr wusste ich nicht, was ich tun sollte. Ich hatte zu wenig Informationen. Ich wägte ein paar Dinge gegeneinander ab und entschloss mich schließlich für den Landweg. Es schien mir einfacher, mich von dort nach Kathmandu bringen zu lassen. So brach ich also um kurz vor 8 Uhr auf.

Mitch hatte mit mir noch gefrühstückt und offenbarte mir, dass sein Sohn mit 27 Jahren mit einem Freund in Bangkok gewesen war und sie sich dort Drogen besorgt hatten, um den 30. Geburtstag des Freundes zu feiern. Sie dachten, es wäre Koks. Stattdessen handelte es sich um Heroin. Sie zogen eine lange Linie und gingen irgendwann ins Bett, nur um am nächsten Morgen nicht mehr aufzuwachen. Mitch musste dann dorthin, um die Überreste seines Sohnes nach Hause zu bringen.

Ich verabschiedete mich von ihm und wünschte ihm alles Gute auf seinem Weg und musste nun selbst den schrecklichen Wanderweg wieder zurück. Matsch und Esel erschwerten mir das Gehen, aber nach drei Stunden hatte ich Bupsa erreicht. Hier aß ich Mittag und der Lodgebesitzer erzählte mir, dass ich nicht viel weiter kommen würde und hier übernachten solle. Ich stellte mich auf ein paar Tage in diesem kleinen Ort ein. Nahm eine kalte Dusche und wusch meine Kleidung. Später hatte ich glücklicherweise Internet und eine Mail von der Botschaft erhalten, in der sie mich baten nach Lukla zu gehen, weil sie für dort am 27.3. ein Flugzeug nach Kathmandu organisieren wollten.

Am Abend kam ein Amerikaner von einem Tagesausflug zurück. Er wollte hier ausharren und nach dem Lokkdown nach Indonesien weiter sobald der Flughafen wieder für kommerzielle Flüge geöffnet wäre. Ich konnte es mir nicht vorstellen, dass es nur bei einer Woche bliebe. Aufgrund eines zweiten, aber jetzt einzigen aktiven Corona Falls, hatte die Regierung innerhalb weniger Stunden einen kompletten Lockdown des Landes beschlossen aus dem Wissen heraus, dass Nepal keinerlei Chance hatte mit einem schwerwiegenden Corona Ausbruch fertig zu werden. Für mich hieß es nun also morgen wieder den dreckigen Weg zu nehmen, um nach Lukla zu kommen. Ich konnte mir wirklich was Schöneres vorstellen.

Donnerstag, der 26. März 2020:

Strecke: 16,5 km

Zeit: 5:10 h

Aufstieg: 1310 m Abstieg: 785 m

Sonnig.

Da ich gefallen an Tsampa Porridge gefunden hatte, brach ich kurz nach 6 Uhr auf. Ich brauchte wieder nur drei Stunden bis zur Lodge, wo ich die Nacht davor verbracht hatte. Es waren alle anderen noch da, auch ein schottisches Ehepaar mit zwei kleinen Kindern. Hier machte ich etwas Rast und wir tauschten die neusten Informationen aus.

Nach weiteren zwei Stunden erreichte ich Lukla. Normalerweise komplett überlaufen mit Touristen, nun menschenleer. Nur vereinzelt sah ich Touristen auf der Straße. Bei den ersten fünf Lodges wurde ich jedoch abgewiesen. Sie seien alle voll. Ich konnte es mir kaum vorstellen. Vielleicht lag es aber auch daran, dass das Tourismusministerium beschlossen hatte, dass alle Touristen in Lukla Unterkunft und Verpflegung umsonst bekamen.

Ich fand schließlich eines direkt am Flughafen und konnte mit ansehen, wie eine Gruppe Franzosen ausgeflogen wurde. Das machte Hoffnung.

Ich traf mich auch noch mit ein paar Deutschen, darunter dem Medizinstudenten Nikolas aus meiner künftigen Wahlheimat. Ständig gab es neue Informationen und Gerüchte. Bis spät am Abend gab es keine Bestätigung des Flugs für die Deutschen aus Lukla. Zwei Flüge von Kathmandu nach Frankfurt standen für morgen und übermorgen schon fest. Es war alles für uns noch ungewiss.

Freitag, der 27. März 2020:

Sonnig, bewölkt zum Abend hin.

Ich bin früh aufgestanden, um keine wichtige Mitteilung zu verpassen. Es kam jedoch auch keine. Lediglich ein Flieger für Australier verließ den Flughafen.

Gegen Mittag wurde von der Botschaft mitgeteilt, dass es morgen drei Flüge nach Kathmandu gäbe. Ein kleiner Hoffnungsschimmer. Weiterhin sollten fünf Flugzeuge kommen und für jeden offen stehen.

Ich war gerade zum Abendessen aus meinem Zimmer hinunter in den Speiseraum gegangen als die Info verbreitet wurde, dass es morgen nun doch keine Flüge für die Deutschen gäbe, weil sie keine Landegenehmigung erhalten hätten. Ein Mann würde aber durch die Lodges gehen, der die Passagierliste für die fünf weiteren Flüge erstelle. Ich sprang also auf, rannte durch die leeren Straßen und sprach jeden, den ich fand an, ob er den Verantwortlichen gesehen habe. Schließlich fand ich ihn und konnte mich an 57. Stelle eintragen lassen.

Erleichtert kehrte ich zur Lodge zurück, nur um eine halbe Stunde später auf Facebook die Bestätigung für die drei deutschen Flüge zu sehen. Weiterhin wurde uns der zweite Heimflug in Aussicht gestellt. Voller Vorfreude, aber auch Unwohlsein, konnte ich nur schlecht schlafen, wähnte mich aber morgen Nacht schon daheim. Aber Vieles kann hier in Nepal passieren. Pläne gelten nur wenig.

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